Oktober 15, 2025

Tracheostoma: Rückschritt oder Schritt zurück zur Normalität?

Wenn Ärzt:innen von einem Tracheostoma sprechen, löst das bei vielen Patient:innen und Angehörigen zunächst große Sorge aus. Die Vorstellung eines Luftröhrenschnitts wirkt beängstigend, und oft entsteht der Eindruck, dass dies ein endgültiger Schritt ohne Rückkehr sei. Diese Befürchtungen sind in den meisten Fällen jedoch unbegründet. Ein Tracheostoma bedeutet zunächst nichts anderes, als dass durch einen kleinen Schnitt in der Halsregion ein künstlicher Zugang zur Luftröhre geschaffen wird, in den eine Kanüle eingesetzt wird. Über diesen Zugang kann die Beatmung erfolgen – meist deutlich angenehmer und sicherer als über einen Schlauch im Mund oder in der Nase. Ein Tracheostoma ist in den allermeisten Fällen als vorübergehende Maßnahme gedacht und häufig sogar ein wichtiger Schritt auf dem Weg zurück zur selbstständigen Atmung und zu mehr Lebensqualität.

 

Tubus versus Tracheostoma: Die wichtigsten Unterschiede

Der Tubus wird durch Mund oder Nase in die Luftröhre eingeführt und ist für die ersten Tage der Beatmung gedacht. Er kann schnell gelegt werden, belastet aber bei längerer Anwendung die Stimmbänder und den Rachenraum. Patient:innen können nicht sprechen und sind beim Schlucken eingeschränkt. Auch die Eigenatmung ist technisch zwar möglich, aber wegen des höheren Atemwiderstands und der Unbequemlichkeit des Tubus erschwert.

Die Trachealkanüle wird durch einen kleinen Schnitt direkt in die Luftröhre eingesetzt. Sie bietet deutlich mehr Komfort: Patient:innen können oft wieder sprechen, schlucken und sogar kleine Mengen essen. Die Pflege ist einfacher, und das Risiko für Infektionen und Verletzungen im Mundraum sinkt erheblich. Zusätzlich erleichtert die kürzere, stabilere Atemwegführung das selbstständige Atmen – ein entscheidender Vorteil, wenn die Arbeit der Beatmungsmaschine nach und nach wieder reduziert werden soll.

 

Wann wird ein Tracheostoma notwendig?

Ein Tracheostoma wird angelegt, wenn Patient:innen länger als etwa 14 bis 21 Tage beatmet werden müssen. Dies kann nach schweren Unfällen, bei neurologischen Erkrankungen, nach größeren Operationen oder bei schweren Lungenentzündungen der Fall sein.

Wichtig ist: Der Übergang vom Tubus zum Tracheostoma erfolgt häufig nicht, weil sich der Zustand verschlechtert hat, sondern um Komplikationen zu vermeiden und die Chancen einer erfolgreichen Entwöhnung zu erhöhen. Besonders beim Weaning – der schrittweisen Rückkehr zur Eigenatmung – bietet das Tracheostoma klare Vorteile.

 

Der Eingriff: Weniger dramatisch als befürchtet

Die Tracheostomie ist ein Routineeingriff, der meist unter örtlicher Betäubung oder leichter Sedierung durchgeführt wird. Der Schnitt ist nur etwa 1–2 Zentimeter lang und erfolgt zwischen dem zweiten und dritten Knorpelring der Luftröhre. Der gesamte Eingriff dauert meist nur 15–30 Minuten. Viele Patient:innen berichten später, dass sie den Eingriff als weniger belastend empfunden haben als erwartet.

Vorteile des Tracheostomas bei der Beatmungsentwöhnung

Das Tracheostoma ist nicht nur „bequemer“, sondern kann den Erfolg des Weanings direkt fördern:

  • Schrittweise Entwöhnung: Durch spezielle Ventile oder zeitweisem Verschließen der Kanüle können Patient:innen immer längere Phasen vollständig selbstständig atmen, ohne dass ein störender Tubus im Rachenraum liegt. Das macht das Training sicherer und weniger belastend.
  • Verbesserte Kommunikation: Sprechventile ermöglichen es vielen Patient:innen bereits während der Beatmungsentwöhnung zu sprechen und so aktiv am Therapieprozess teilzunehmen.
  • Mobilität: Patient:innen können das Bett verlassen, sich bewegen und an Physiotherapie teilnehmen, was den Genesungsprozess erheblich beschleunigt.
  • Psychische Entlastung: Die Möglichkeit zu sprechen, zu schlucken und sich zu bewegen wirkt sich positiv auf die Stimmung aus und reduziert das Gefühl der Hilflosigkeit.

Gerade weil das Weaning ein oft langwieriger Prozess ist, kann das Tracheostoma die Brücke zwischen maschineller Unterstützung und Eigenatmung entscheidend stabiler und komfortabler machen.

 

Der Weg zur Dekanülierung

Die Dekanülierung – also das endgültige Entfernen der Trachealkanüle – erfolgt schrittweise. Zunächst wird geprüft, ob Patient:innen ohne maschinelle Unterstützung atmen können. Dann wird die Kanüle vorübergehend verschlossen, um zu testen, ob die Atmung über die natürlichen Atemwege funktioniert. Verläuft alles erfolgreich, kann die Kanüle entfernt werden.

Dieser Prozess kann wenige Tage bis mehrere Wochen dauern – je nach individuellem Heilungsverlauf. Wichtig zu wissen: Die meisten Patient:innen schaffen die komplette Entwöhnung und können das Krankenhaus ohne Trachealkanüle verlassen. Damit es noch mehr Patient:innen schaffen, erarbeiten und testen wir in der Studie PRiVENT Strategien, mit denen das Knowhow spezialisierter Weaning-Zentren auch in „normalen“ Krankenhäusern verfügbar wird.

 

Was passiert nach der Entfernung der Kanüle?

Nach der Dekanülierung verschließt sich die kleine Öffnung in der Luftröhre meist von selbst innerhalb weniger Tage. Die Hautwunde wird mit einem Pflaster abgedeckt und heilt normalerweise problemlos zu.

Die resultierende Narbe ist deutlich kleiner als viele befürchten: meist nur eine schmale, etwa 1–2 Zentimeter lange Linie am Hals, die mit der Zeit verblasst und oft kaum noch sichtbar ist.

 

Mut fassen für den Weg nach vorn

Ein Tracheostoma bedeutet nicht, die Hoffnung auf Normalität aufgeben zu müssen, sondern oft den Beginn des Weges dorthin zurück. Es erleichtert eine sanfte und sichere Beatmungsentwöhnung und gibt Patient:innen bereits während der Behandlung ein Stück Lebensqualität zurück.

Wenn Sie als Patient:in oder Angehörige:r vor dieser Entscheidung stehen, lassen Sie sich ausführlich von Ihrem Behandlungsteam beraten. Stellen Sie alle Fragen, die Sie beschäftigen – das medizinische Personal ist dafür da, Ihnen die Ängste zu nehmen und Sie Schritt für Schritt durch diesen wichtigen Abschnitt des Heilungsprozesses zu begleiten.

Vertrauen Sie darauf: In den allermeisten Fällen ist das Tracheostoma nur eine vorübergehende Maßnahme auf dem Weg zurück zu einem selbstbestimmten Leben ohne Beatmung.

 

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