Körperlich aktiv zu sein, ist gut für die Gesundheit. Bewegung stärkt nachweislich das Herz-Kreislauf- und das Immunsystem. Spaziergänge oder sportliche Aktivitäten helfen dabei, Krankheiten vorzubeugen, bereits vorhandene Erkrankungen zu lindern oder ihr Fortschreiten zu verlangsamen. Dies gilt auch für chronischen Lungenkrankheiten wie Asthma oder COPD: Durch Bewegung können Gesundheit und Lebensqualität verbessert und Atemnot reduziert werden. Doch geraten Lungenkranke bei Bewegung schnell außer Atem, weshalb sie körperliche Anstrengungen eher vermeiden. Es droht ein Teufelskreis: Die mangelnde Bewegung wirkt sich negativ auf Herz, Kreislauf, Muskulatur und die allgemeine Belastbarkeit aus. Die Atemnot nimmt zu, die Lebensqualität ab. Wie durchbricht man diesen Kreis?
Warum Bewegung auch bei Patient:innen mit Atemnot so wichtig ist
Jede Zelle im Körper benötigt Sauerstoff. Bei körperlicher Betätigung steigt der Bedarf vieler Zellen. Bei regelmäßiger Bewegung stellt sich der Körper auf diesen Mehrbedarf ein, indem er u. a. mehr rote Blutkörperchen und mehr Mitochondrien bildet. Durch die höhere Zahl roter Blutkörperchen kann mehr Sauerstoff durch den Körper transportiert werden. Mitochondrien sind die Kraftwerke der Körperzellen und produzieren aus dem Sauerstoff und energiereichen Verbindungen (wie z. B. Kohlenhydraten) nutzbare Energie. Je mehr Mitochondrien, desto besser ist die Sauerstoffverwertung und damit auch die Ausdauer.
Auch die Atempumpe profitiert von Bewegung: Durch die richtige Atemtechnik und zusätzliche Atemübungen wird die Muskulatur der Atempumpe gestärkt und gedehnt, wodurch sie die Atmung besser unterstützen kann.
Für die Betroffenen ist es nicht einfach die Abwärtsspirale aus Luftnot und Inaktivität zu durchbrechen
Jede Bewegung – angefangen vom Duschen oder dem Gang zum Kühlschrank bis hin zum Hochleistungssport – erhöht also den Bedarf an Sauerstoff. Ist die Atmung eingeschränkt, kann sich sogar der Gang zum Kühlschrank für die Betroffenen bereits wie ein Marathonlauf anfühlen. Ein gesunder Mensch kann sich auf seine Atmung verlassen: Er kann bis zur Belastungsgrenze einer Straßenbahn hinterherrennen und weiß, dass er nur „außer Atem“ geraten ist und dieses Gefühl mit jedem Atemzug abnimmt. Patient:innen mit einer Lungenerkrankungen machen andere Erfahrungen. Die Atemnot ist bedrohlich, weil die Patient:innen aufgrund ihrer Erkrankung nicht einfach ein paar Mal tief Luft holen können wie ein gesunder Mensch. Viele Betroffene vermeiden daher Bewegung, um die Atemnot zu vermeiden und geraten so in eine Abwärtsspirale: Durch die fehlende Bewegung sinkt die körperliche Leistungsgrenze noch weiter ab, alltägliche Handgriffe werden zunehmend zur Everest-Besteigung und die Betroffenen verlieren nach und nach ihren Handlungsspielraum.
Wer glaubt, diese Abwärtsspirale könne über einen Appell an die Vernunft unterbrochen werden, hat noch nie unter Atemnot gelitten. Das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen und zu ersticken, verursacht Panik, die wiederum die Atemnot verstärkt. Allein der Gedanke an eine drohende Atemnot kann diese auslösen und führt bei den Betroffenen so zu der Vermeidungshaltung. Es ist also auch eine psychische Hürde, die überwunden werden muss.
Wie können Patient:innen mit Lungenerkrankungen den Teufelskreis durchbrechen und gegen die Atemnot antrainieren?
Die meisten Betroffenen haben bereits Atemnot nach körperlicher Anstrengung durchlebt. Die Angst davor ist bei ihnen teils tief verankert. Daher ist der wichtigste Faktor, um den Teufelskreis der Bewegungsvermeidung zu durchbrechen, dass keine weiteren Negativerfahrungen mehr gemacht werden dürfen. Anders ausgedrückt: Bewegung bis zur Atemnot sollte unbedingt vermieden werden! Die eigenen Grenzen zu kennen und zu akzeptieren ist daher der erste Trainingsschritt. Die Betroffenen müssen wieder Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit gewinnen – egal wie gering diese aktuell ist. Sie müssen die Erfahrung machen, dass sie keine Atemnot bekommen, wenn sie sich nicht überanstrengen.
Ein weiterer wichtiger Punkt zu Beginn des Trainings ist das Wissen, dass auch geringste Aktivitäten sich in ihrer Summe positiv auf die Gesundheit auswirken. Selbst eine kleine Runde durch die eigene Wohnung zu gehen, kann schon einen deutlichen Unterschied machen und der Startpunkt für jeden weiteren Schritt sein.
Wie viel Bewegung sollten Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen anstreben?
Die europäische Atemwegsgesellschaft European Respiratory Society (ERS) empfiehlt Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen drei bis fünf Mal pro Woche für je 20 bis 60 Minuten zu trainieren – bei 60 Prozent der maximalen Leistungsfähigkeit, um auf keinen Fall in die Atemnot zu geraten. Diese Empfehlung klingt für Menschen, die aufgrund ihrer Kurzatmigkeit schon länger Bewegung vermeiden, nach Utopie. Doch mit kleinen Schritten ist dieses Ziel für viele Patient:innen erreichbar, wenn sie klein anfangen und sich langsam steigern. Es ist nie zu spät damit anzufangen und jede Form der Bewegung ist besser als keine. Vielen Betroffenen hilft, ein Bewegungs-Tagebuch zu führen. Mit seiner Hilfe können kleine Verbesserungen nachvollzogen werden, die sonst eventuell nicht auffallen. Die Fortschritte motivieren zum Weitermachen.
Ausreichend Bewegung kann das Risiko für eine Langzeitbeatmung senken
Neben der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands und der Lebensqualität ist regelmäßige Bewegung auch wichtig im Bereich der Vorbeugung. Ein wichtiges Element von PRiVENT ist die Entwicklung eines Prognosemodells, mit dem das Risiko für eine erschwerte Beatmungsentwöhnung und damit für eine Langzeitbeatmung frühzeitig erkannt werden kann. Die allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit ist ein wesentlicher Faktor in dieser Gleichung: Je besser der Trainingszustand von Patient:innen ist, desto leichter gelingt die Entwöhnung von einer Beatmung, wenn diese zum Beispiel durch eine akute Erkrankung nötig werden sollte.