Als Beatmungs-WG wird eine Wohngemeinschaft von beatmeten Patient:innen bezeichnet, die von einem spezialisierten Pflegedienst rund um die Uhr intensivmedizinisch betreut werden. Neben sehr guten Einrichtungen, die von seriösen und erfahrenen Anbietern betrieben werden, tummeln sich leider auch Anbieter auf dem Markt, bei denen lediglich wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. Möglich wird dies durch aktuell noch bestehende finanzielle Fehlanreize: Während vor allem für die häusliche Pflege von beatmeten Patient:innen hohe Fallpauschalen von den Krankenkassen gezahlt werden, wird die aufwendige Prozedur der Beatmungsentwöhnung nicht adäquat in den Fallpauschalen abgebildet.
Warum Beatmungs-WGs immer wieder in der Kritik stehen
Beatmungs-WGs versprechen allein vom Wort her mehr Selbstbestimmung, ein eigenes Zimmer, das man nach eigenen Vorstellungen einrichten kann und das Umgehen einer klinischen Atmosphäre. Es erinnert an lange Gespräche in der Küche und liebevollen Streit um den Putzplan in der Studienzeit. Und abgesehen von den Küchen-Geschichten gibt es auch genau diese Einrichtungen.
Doch ist es eben die häusliche Pflege von Beatmungs-Patient:innen, die enorm viel Geld einbringt. Und dies lockt Renditejäger. Neben den gut geführten Einrichtungen, die sich um die beste Versorgung der ihnen anvertrauten Patient:innen bemühen und teilweise sogar Atmungstherapeut:innen beschäftigen, gibt es auch Betreiber, bei denen wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen. Inzwischen sind teilweise sogar ausländische Investoren in den Markt eingestiegen und beteiligen sich an der innerdeutschen Pflege im häuslichen Umfeld.
Laut einer Recherche von Frontal21 und Correctiv aus dem Jahr 2021 bräuchten 70% der Patient:innen in Beatmungs-WGs keine Trachealkanüle – und damit auch keinen Platz in einer Beatmungs-WG. Doch das Geschäftsmodell lohnt sich: Die Patient:innen mieten ein Zimmer in der WG an. Zusätzlich zur Miete kassieren die Betreiber dann den Satz für häusliche Pflege von den Kassen, der bis zu 30.000€ pro Person und Monat betragen kann. Stationäre Einrichtungen hingegen können monatlich nur 6.500€ pro Beatmungs-Patient:in abrechnen. Eben diese enorme Diskrepanz dürfte maßgeblich dafür verantwortlich sein, dass Beatmungs-WGs in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Zumal die Notwendigkeit für eine Beatmung bislang auch von Ärzt:innen festgestellt werden darf, die nicht auf diesen Fachbereich spezialisiert sind. Kooperieren Mediziner:innen mit Pflegeeinrichtungen, bzw. wird das Entwöhnungspotenzial im Verlauf nicht mehr erhoben, können Betroffene so deutlich länger in der Beatmungspflicht gehalten werden, als es medizinisch notwendig wäre. Selbst bei unabhängigen, aber im Bereich der Beatmungsmedizin unerfahrenen Ärzt:innen, ist diese Gefahr aus Unwissenheit leider vorhanden. Und so bleibt selbst bei gut geführten Beatmungs-WGs oft das Risiko, dass nicht alle Patient:innen mit Weaning-Potenzial erkannt werden.
Was ändert das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG)?
Das Gesetz zur „Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung“ wurde im Juli 2020 im Bundestag beschlossen. Es soll dazu beitragen, die Versorgung von Patient:innen zu verbessern, ihre Möglichkeiten zur Selbstbestimmung zu stärken und finanzielle Fehlanreize in der Intensivpflege zu beseitigen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Beatmungs-Patient:innen. So steht in dem Gesetzesentwurf explizit:
„Es wird klargestellt, dass zur Krankenhausbehandlung auch eine qualifizierte fachärztliche Feststellung des Beatmungsstatus vor der Verlegung oder Entlassung von Beatmungspatienten gehört, damit Patienten mit Entwöhnungspotenzial identifiziert werden können.
Krankenhäuser, die keine Feststellung des Beatmungsstatus vornehmen oder die trotz bestehendem Entwöhnungspotenzial von der maschinellen Beatmung keine Anschlussbehandlung veranlassen, müssen künftig Abschläge hinnehmen.“
(Drucksache 19/19368)
Außerdem soll der Medizinische Dienst im Auftrag der Krankenkassen jährlich prüfen, ob die medizinische und pflegerische Versorgung am Leistungsort tatsächlich sichergestellt ist. Eben dieser dringend notwendigen Qualitätskontrolle müssen sich bislang nur stationäre Pflege-Einrichtungen unterziehen.
Der Gesetzesentwurf war insbesondere bei Betroffenen, die einen Verlust ihrer Autonomie befürchteten, nicht unumstritten. Inwieweit das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz die gesetzten Ziele erreichen wird und geleichzeitig auch den Patienteninteressen gerecht werden kann, wird die praktische Umsetzung zeigen.
Ein weiteres Problem: Die Abrechnung der Beatmungsentwöhnung
Ein Zugang für eine Beatmung ist schnell gelegt. Die Durchführung der Beatmung erfordert, ob im ambulanten oder stationären Bereich, trotz den enormen technischen Errungenschaften seit den Anfängen der Beatmungsmedizin, weiterhin ein großes Aufgebot an qualifizierten Mitarbeitenden.
Insbesondere wenn sich die Entwöhnung aufgrund von Risikofaktoren oder langer Beatmungszeit als schwierig erweist, ist der Weaning-Prozess mit einem enormen personellen und zeitlichen Aufwand verbunden: Die Atemmuskulatur der Patient:innen muss durch gezieltes Atemtraining und weitere therapeutische Maßnahmen wieder aufgebaut werden, Probleme beim Schlucken und dem Sekretmanagement müssen kontrolliert werden und das ideale Tempo für alle Maßnahmen muss individuell auf den Fall abgestimmt werden. Dies ist in schwierigen Fällen nur mit einem interprofessionellen Team aus Ärzt:innen verschiedener Fachrichtungen, Pflegenden und Therapeut:innen aus den Bereichen Atmungstherapie, Logopädie und Physiotherapie machbar. Einige Patient:innen benötigen darüber hinaus auch psychotherapeutische Begleitung.
Leider wird dieser interprofessionelle Ansatz und das stringente Vorgehen, das für eine Beatmungsentwöhnung nötig ist, bislang in den Fallkostenpauschalen der Kassen nicht adäquat abgebildet. Die Folge: Beatmete Patient:innen können gut und einfach abgerechnet werden – ausgerechnet die Maßnahmen, die auf lange Sicht nicht nur den Betroffenen nutzen, sondern auch eine finanzielle Entlastung der Kassen darstellen würden, werden jedoch nicht ausreichend vergütet.
Welchen Beitrag wir mit PRiVENT leisten wollen
Unabhängig davon, dass die gesetzliche Neuregelung der Rahmenbedingungen längst überfällig war und auch die Abrechnungs-Pauschalen neu bewertet werden müssen, versuchen wir mit Hilfe von PRiVENT, schon in den behandelnden Krankenhäusern so viele Patient:innen wie möglich von der Beatmung zu entwöhnen.
Wir möchten die Kompetenz von Ärzt:innen und Pflegepersonal in nicht auf das Weaning spezialisierten Kliniken so weit erhöhen, dass sie bereits mit der Intubation alle Stellschrauben für die spätere Beatmungsentwöhnung richtig stellen, stets im Blick behalten und nachjustieren. So können hoffentlich mehr Patient:innen bereits in den behandelnden Krankenhäusern zeitnah entwöhnt werden. Außerdem möchten wir erreichen, dass das Verständnis für die komplexen Prozesse des Weanings steigt, damit die Patient:innen mit prolongiertem Weaning nicht beatmet in das häusliche Umfeld entlassen, sondern in ein Weaning-Zentrum überwiesen werden.
Mit PRiVENT möchten wir dazu beitragen, dass wirklich nur Menschen dauerhaft in die häusliche Pflege bzw. in Beatmungs-WGs oder Pflegeeinrichtungen entlassen werden, bei denen zu diesem Zeitpunkt kein Weaning-Potenzial mehr vorhanden ist.
Haben Sie Fragen oder benötigen Sie Informationsmaterial?
Dann hören Sie gerne in unseren Podcast hinein. Die Links zu Spotify und Youtube finden Sie bei den Social-Icons auf dieser Seite. Der Podcast steht Ihnen jedoch auch auf allen anderen gängigen Plattformen zur Verfügung. In unserem Downloadbereich können Sie sich außerdem gerne die Flyer für Patient:innen oder Fachkreise herunterladen. Auf der Startseite finden Sie darüber hinaus ein Erklärvideo, das PRiVENT kurz und knapp erklärt.