In Deutschland werden etwa 20.000–25.000 Menschen außerklinisch intensivmedizinisch versorgt. Etwa 12.500 davon im heimischen Umfeld. Für diese Personen und ihre Angehörigen ist es wichtig, über aktuelle rechtliche Entwicklungen und Leitlinien informiert zu sein, die ihre Versorgung betreffen. Das „Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz“ (IPReG) ist eine solche wichtige Neuerung. In diesem Artikel möchten wir Ihnen erklären, was das IPReG ist, welche Änderungen es in der außerklinischen Versorgung von beatmeten Personen mit sich bringt und welche Herausforderungen damit verbunden sind. Dabei konzentrieren wir uns auf den Teil des Gesetzes, der sich mit außerklinischer Intensivpflege befasst, und lassen die Änderungen im Bereich Rehabilitation außen vor.
Was ist das IPReG?
Das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz, kurz IPReG, ist ein Gesetz, das am 29. Oktober 2020 in Kraft getreten ist. Ziel des IPReG ist es, die Versorgung von Menschen, die auf eine außerklinische Intensivpflege angewiesen sind, zu verbessern und sicherzustellen. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf der Qualität der Versorgung und der Vermeidung von sogenannten „Fehlanreizen“, die zum Beispiel dazu führen könnten, dass Patient:innen invasiv beatmet werden, obwohl ihr Gesundheitszustand eine Beatmungsentwöhnung erlauben würde.
Wichtige Änderungen durch das IPReG
- Nachweispflicht der Potenzialerhebung: Die Kliniken müssen jetzt nachweisen, dass das Weaningpotenzial erhoben und ein Weaningversuch durchgeführt wurde, bevor Patient:innen invasiv beatmet entlassen werden. Das soll verhindern, dass Patient:innen mit Weaningpotenzial invasiv beatmet in die außerklinische Versorgung überführt werden, bevor alle Maßnahmen zu Beatmungsentwöhnung ausgeschöpft wurden.
Außerdem sind diese Potenzialerhebungen Voraussetzung dafür, dass im außerklinischen Bereich die Intensivpflege weiterhin verordnet werden kann. Dafür muss die Potenzialerhebung halbjährlich wiederholt werden, mindestens einmal im Jahr davon persönlich vor Ort. Dabei soll überprüft werden, ob Patient:innen, die schon außerklinisch invasiv beatmet werden oder ein Tracheostoma haben, nicht davon entwöhnt werden können oder eine Reduktion der Beatmungszeit angestrebt werden kann. - Eine Ergänzung bei der Wahl des Versorgungsortes: Durch sie wird insbesondere die Unterbringung in Pflegeheimen finanziell unterstützt, was von vielen kritisiert wird (s.u.). Das IPReG ermöglicht es den Betroffenen jedoch weiterhin, zwischen verschiedenen Versorgungsformen zu wählen. Dies umfasst die Pflege zu Hause, in einer Pflege-Wohngemeinschaft oder in spezialisierten Einrichtungen. Ziel ist es, die Pflegebedürftigen in ihrer Entscheidung zu stärken und ihnen die notwendige Selbstbestimmung zu ermöglichen, gleichzeitig jedoch finanzielle Fehlanreize zu reduzieren.
- Qualitätsanforderungen: Die neuen Regelungen legen strenge Qualitätsstandards für die außerklinische Intensivpflege fest. Anbieter:innen müssen nachweisen, dass sie in der Lage sind, eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Pflege zu leisten. Dies soll sicherstellen, dass die Patient:innen bestmöglich versorgt werden.
- Bedarfsgerechte Versorgung: Eine wesentliche Neuerung ist, dass die Krankenkassen nun stärker in die Prüfung der Notwendigkeit und Angemessenheit der außerklinischen Intensivpflege einbezogen sind. Das bedeutet, dass die medizinische Notwendigkeit und der Bedarf regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen,
- dass die Pflege den individuellen Anforderungen entspricht. In diesem Fall geht es um die Prüfung des Versorgungsortes. Und
- dass keine Patientin und kein Patient ohne medizinischen Grund invasiv beatmet werden. Hier geht es darum, das Weaning-Potenzial zu ermitteln, also zu schauen, ob eine Entwöhnung von der invasiven Beatmung oder eine Reduktion der Beatmungsdauer möglich sind. Dies ist jedoch auch einer der Punkte, die heftig diskutiert werden (s.u.).
Herausforderungen und Kritik
Trotz der positiven Ansätze gibt es auch Herausforderungen und Kritikpunkte im Zusammenhang mit dem IPReG.
Eine häufige Kritik betrifft den erhöhten bürokratischen Aufwand für die Pflegedienste und die Patient:innen selbst. Die Nachweispflichten und die regelmäßigen Prüfungen durch die Krankenkassen können als belastend empfunden werden und erfordern zusätzliche Ressourcen. Außerdem schüren genau diese Überprüfungen bei den Betroffenen die Angst vor einer Einschränkung ihrer Wahlfreiheit: Obwohl das Gesetz die Wahlmöglichkeiten offiziell stärken soll, gibt es Bedenken, dass die verstärkten Kontrollen und die Bedarfsprüfung durch die Krankenkassen in der Praxis zu Einschränkungen führen könnten. Einige befürchten, dass Betroffene möglicherweise nicht mehr in der Lage sein könnten, ihre bevorzugte Pflegeform zu wählen, wenn diese von den Kassen als nicht angemessen erachtet wird.
Auch die Pflicht der regelmäßigen Potenzialerhebung wird von vielen Patient:innen und Angehörigen kritisiert. Gründe dafür sind vor allem schlechte Erfahrungen bei stationären Aufenthalten, Angst vor dem Weaningprozess bzw. der Wiederaufnahme ins Krankenhaus.
Generell stellt die Umsetzung der neuen Qualitätsstandards eine Herausforderung dar, insbesondere für kleinere Pflegedienste. Diese müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um die geforderten Nachweise und Dokumentationen zu erbringen, was finanziell und personell belastend sein kann.
An wen kann man sich wenden, wenn man Fragen hat oder Hilfe benötigt?
Patient:innen und ihre Angehörigen können sich an unabhängige Beratungsstellen wenden, die sie bei der Auswahl der geeigneten Pflegeform und auch bei Fragen zur Umsetzung des IPReG unterstützen. Diese Beratung kann dazu beitragen, Unsicherheiten zu verringern und die Selbstbestimmung der Betroffenen zu stärken.
Unabhängige Beratung bieten zum Beispiel:
Pflegeberatungsstellen und Pflegestützpunkte
Es gibt spezielle Beratungsstellen, die Sie in Fragen zur Pflege und zu den entsprechenden Ansprüchen gegenüber den Kranken- und Pflegekassen unterstützen können. Diese Beratung ist meist kostenlos und kann Ihnen auch bei der Antragsstellung oder beim Widerspruch helfen. Die entsprechenden Kontaktdaten können Sie über Ihre Kommune oder örtlichen Sozialdienste erfragen.
Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
Das BMG stellt umfangreiche Informationen zu gesetzlichen Regelungen im Gesundheitswesen, einschließlich des IPReG, bereit. Es gibt auch eine Bürgertelefonnummer für allgemeine Anfragen.
Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD)
Die UPD bietet kostenlose Beratung und Unterstützung bei Gesundheitsfragen, sie sind aber auch im Bereich Patient:innenrechte Ansprechpartner und können z.B. bei Problemen mit der Krankenkasse helfen.
Deutscher Caritasverband
Der Caritasverband bietet umfangreiche Informationen und Beratungsangebote zu Pflegeleistungen und gesetzlichen Regelungen wie dem IPReG.
Diakonie Deutschland
Die Diakonie bietet Beratung und Unterstützung in allen Fragen rund um Pflege und gesetzliche Regelungen. Sie hilft bei der Suche nach Pflegemöglichkeiten und informiert über rechtliche Rahmenbedingungen.
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband
Der Paritätische Wohlfahrtsverband bietet Beratungsdienste und Informationen zur Pflege, einschließlich der neuen Regelungen im IPReG.
Deutscher Pflegeverband e.V. (DPV)
Der DPV bietet Beratung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bei allen Fragen zur Pflege und zu aktuellen gesetzlichen Regelungen.
Verbraucherzentrale
Die Verbraucherzentralen bieten ebenfalls Beratung zu Pflege und rechtlichen Aspekten wie dem IPReG. Sie bieten oft auch Infomaterialien und Checklisten an.
Sozialverband Deutschland (SoVD) oder VdK
Diese Verbände unterstützen Menschen bei sozialrechtlichen Angelegenheiten, einschließlich Widersprüchen gegen Entscheidungen der Krankenkassen, und bieten juristische Beratung an.
Beratung durch Selbsthilfegruppen und Foren
Zu guter Letzt bieten auch Selbsthilfegruppen nicht nur Unterstützung durch Austausch, sondern auch praktische Beratung zu Pflege und rechtlichen Fragen. Online-Foren können ebenfalls eine hilfreiche Quelle sein.
Fazit
Das IPReG stellt einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der außerklinischen Intensivpflege in Deutschland dar. Es bietet neue Möglichkeiten und setzt höhere Standards, um die Qualität der Versorgung zu sichern. Gleichzeitig bringt es Herausforderungen mit sich, die eine sorgfältige Umsetzung und Unterstützung der Betroffenen erfordern. Für Patient:innen und ihre Angehörigen ist es wichtig, sich über die neuen Regelungen zu informieren und sich bei Bedarf Unterstützung zu suchen, um die bestmögliche Pflege sicherzustellen.
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