März 19, 2024

Mit Intensivpatient:innen „einfach“ mal raus

Jacke an, Schlüssel greifen, raus. Kaffee mit Freund:innen, schnell was besorgen, ein Spaziergang durch die Stadt oder die Natur. Für die meisten von uns ist dies so selbstverständlich, dass wir uns über diesen Luxus gar keine Gedanken machen. Für den Alltag von Intensivpatient:innen, der in aller Regel in geschlossenen Räumen stattfinden muss, ist der Weg nach draußen eine enorme Bereicherung und stellt zugleich eine Hürde dar, die sie nur mit einem medizinischen Team und zahlreichen medizinischen Geräten nehmen können.

Während wir uns im letzten Artikel mit einem Ausflug auf die Intensivstation beschäftigt haben, möchten wir Ihnen in diesem Beitrag vorstellen, wie ein Ausflug von ihr weg gelingen kann.

Was bewirkt ein Ausflug von der Intensivstation nach draußen?

Lange Aufenthalte auf einer Intensivstation sind eine Belastung für Körper und Seele. Viele Patient:innen verlieren das Gefühl für Raum und Zeit. Uhrzeiten, Wochentage, selbst die Jahreszeiten entgleiten ihnen. Die Erzählungen von Pflegefachkräften und Angehörigen sind nur ein schwacher Ersatz und können die Patient:innen nur bedingt an die Außenwelt anbinden. Manchmal bleiben Worte eben einfach Worte.

Die psychologischen Wirkungen eines „Ausflugs“ sind daher immens: Nach draußen kommen und den Himmel sehen, den Wind spüren, das alltägliche Treiben mitbekommen, all dies hebt die Stimmung von Intensivpatient:innen und kann für Körper und Seele Wunder wirken. Die natürliche Umgebung stimuliert die Sinne, fördert das Wohlbefinden und kann Patient:innen ein ganz neues Körpergefühl vermitteln. Gefühle von Isolation und Einsamkeit werden verringert, neue Hoffnung wird geschenkt und Angstzustände sowie Depressionen können gelindert werden. Neben dem Balsam für die Seele haben vor allem längere Aufenthalte draußen auch eine physiologische Wirkung: Die frische Luft verbessert die Lungenfunktion, das Immunsystem wird gestärkt, Vitamin D kann produziert werden. Beatmeten Patient:innen kann der Aufenthalt im Freien helfen, die Abhängigkeit vom Beatmungsgerät zu reduzieren und die Lungenkapazität zu stärken.

 

Hindernisparcours mit Herzmonitor und Beatmungsgerät

Ein Ausflug von der Intensivstation nach draußen ist jedoch alles andere als trivial. Die Inneneinrichtung eines Intensivzimmers ist bis auf sehr wenige Ausnahmen für die Patient:innen überlebenswichtig. Ergo: Will man mit den Patient:innen die Intensivstation verlassen, darf der Besucherstuhl zwar auf Station bleiben, der Rest aber muss mit. Und sogar noch ein bisschen mehr. Denn was per Notfallknopf binnen Sekunden auf der Intensivstation angefordert werden kann, ist draußen lebensbedrohende Minuten weit entfernt. Jedes auch nur eventuell benötigte Medikament muss deshalb mitgenommen werden. Inklusive Reserve. Jedes Gerät benötigt zudem eine unabhängige Stromzufuhr und einen geladenen Akku, damit es draußen voll funktionsfähig ist.

Logistisch gleicht der Weg von der Intensivstation nach draußen insbesondere für Touren im Bett einem Hindernisparcours: verwinkelte Gänge, Zwischentüren, Fahrstühle. Alles mit einem eigenen überlebenswichtigen Maschinenpark im Schlepptau. Jedes Kabel und jeder Schlauch müssen doppelt und dreifach gesichert und kontrolliert werden.

 

Vorbereitungen für einen Ausflug von der Intensivstation

Wie jeder Ausflug beginnt auch der von der Intensivstation damit, zu klären, wohin es geht. Denn wenn doch ein Notfall eintritt, müssen unter Umständen schnell zusätzliche Kräfte dorthin gelangen können. Als nächstes geht es darum, wer alles mitkommt. Dies gilt natürlich für das Personal, denn es müssen mindestens eine Intensivfachkraft und eine Assistenzkraft durchgehend dabei sein. Es schließt aber auch die Patientin bzw. den Patienten ein: Erlaubt der tagesaktuelle Gesundheitszustand den Ausflug? Möchte sie/er überhaupt nach draußen? Auch dies kann je nach Tagesform variieren. Für Patient:innen, deren Leben an den Geräten hängt, kann ein Ausflug nach draußen auch beängstigend sein, an manchen Tagen mehr als an anderen. Angehörige können hier eine wesentliche Rolle bei der Unterstützung spielen. Ihre Teilnahme kann nicht nur logistische Hilfe leisten, sondern auch emotionalen Beistand bieten. Zu guter Letzt ist es für Patient:innen außerhalb der Intensivstation auch möglich, Besuch von ihrem Haustier zu empfangen, das die Angehörigen mitbringen.

 

Wenn all diese Punkte geklärt und abgestimmt sind, beginnt das Zusammenstellen der mobilen Intensivstation. Pack- und Checklisten können dabei helfen, nichts Wichtiges zu vergessen: Geräte zur Überwachung von Herz- und Atemfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffsättigung. Das Beatmungsgerät. Ein Sauger, um den Beatmungsschlauch bei Bedarf von Sekret befreien zu können. Medikamente, Spritzen, Kanülen, Notfalltasche. Und, und, und.

 

Wie lang sollte der Aufenthalt draußen sein?

Schon allein der Aufwand reduziert meist die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts an der frischen Luft. Für gewöhnlich fließt sehr viel mehr Zeit in die Vorbereitung, die Wege und die Nachbereitung. Denn auch das darf man nicht vergessen: Die mobile Intensivstation muss ja auch wieder abgebaut werden – und auch bei der Rückverlegung auf die Intensivstation müssen alle Kabel und Schläuche sowie Einstellungen überprüft werden.

Diese logistisch begründete Zeitbegrenzung ist jedoch weit weniger schlimm, als sie klingt. Denn die vielen Eindrücke, die nach der langen Beschränkung auf die Intensivstation auf die Patient:innen einprasseln, sind nicht nur schön, sondern auch unglaublich anstrengend für sie.

Lohnt sich der Aufwand?

Ja. Für die Patient:innen aus den oben genannten Gründen sowieso. Aber auch für das begleitende medizinische Team bietet ein solcher Ausflug mehr als nur eine logistische Herausforderung. Zu sehen, wie Patient:innen auf Sonnenlicht, auf Wind und, ja, sogar auf einen Regentropfen reagieren, ist für die meisten Pflegefachkräfte eine sehr bereichernde Erfahrung. Sie erleben ihre Patientin oder ihren Patienten in einem völlig anderen Kontext. Der Moment und die Auszeit von der Intensivstation stehen im Vordergrund. Für das Fachpersonal ebenso wie für die Patient:innen. Es kehrt wieder Leben ein.

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